DIE JÄGERIN Teil 3






Teil 3


Die Jägerin

Die Kraft des Feuers

"Es wird schmerzhaft werden", dachte sie, doch ihr Entschluss stand fest. 

Sie wusste allerdings nicht, wie viel Gift ihr Körper vertragen würde..
Gestrüpp, Unterholz und Felsbrocken machten das Gelände unwegsam. Die Hitze des Tieflandes war lähmend, ließ kaum nach gegen Abend. Das Licht schien golden durch das Laub eines alten, hohen Baumes..
Jea war auf der Jagd, allein im Wald und nackt und das schon seit Wochen. Noch war sie keinem Menschen begegnet. Fast freute sie sich auf die bevorstehende Herausforderung. Aber noch mehr freute sie sich auf das Essen danach. Sie hatte die Hitze des Tages im Schatten des hohen Baumes verbracht. Jetzt stand die Sonne eine Handbreit über dem Horizont. Wind war kaum zu spüren. 

Jea beobachte den nahenden Sonnenuntergang und die großen Soldaten der Ameisen, Nur zwei oder drei Tiere verließen den Bau am Ast, während Gruppen von zwanzig oder dreißig Individuen im papierenen Bau verschwanden.
Der Ameisenbau hing vor ihr. 
          Sie zerrte am Ameisenbau. Mit einem trockenen „ratsch!“ löste sich das papierähnliche Gebilde vom Ast. Schon spürte sie zwei Bisse in ihrer Handfläche.Sie begann zu laufen. Weitere brennende Bisse folgten zwischen den Fin­gern der anderen Hand. Jea stürmte den Hang hinunter, hinein in den blauen Schatten der Bäume und der Büsche. Bisse an den Oberarmen, am Hals. Dutzende der Ameisen krabbelten aus dem Bau heraus. Ihr Nasenflügel brannten. Sie hetzte durch die Büsche. Ameisen krabbelten über ihre Augen, über Schulter und Rücken. Überall auf ihrem Körper flammten kleine Brandherde auf. Ihre Hände waren bereits von zahllosen roten Flecken übersät. Äste peitschen ihre Arme. Das Augenlid brannte höllisch. Sie biß auf die ersten Eindringlinge in ihrem Mund. Sie fühlte den ersten Hitzeschauer durch ihren Körper rasen. Ihr Verstand schrie es ihr förmlich zu: 
„Wirf das Nest weg!“, „Lauf dem Schmerz davon!“, „Schüttle die Biester ab!“, „Wälz dich im Sand!“, „Schrei!“. 
Noch hatte sie das Wasser nicht erreicht. Sie rannte. Büsche fetzen an ihr vorbei.
Die Welt um sie wurde langsamer. Ihr war plötzlich kühl, dann kalt, sie fror – nein, ihr Körper glühte. Es mussten Dutzende Ameisen­bisse sein und ein jeder enthielt eine winzige Menge Gift.
Dies hatte ihre Wahrnehmung verschoben. 
Unter ihr war der See. Sie tauchte ein ins Wasser, aber sie spürte das Wasser nicht mehr. 
Ihr schien es - und niemand, der es mitverfolgen hätte können, würde etwas anderes behaupten - als würden sich ihre Arme in einer gewaltigen, majestätischen Bewegung ins Wasser senken. 
Das Aufklatschen dröhnte in ihren Ohren, in grandiosen Figuren spritzte Schaum um sie auf und schlug über Jea zusammen. 
Brennen. 
Dröhnen. 
Kalt. 
Weiß. 
Unendlich langsam. 
Dann stand ihre Welt still. 
Nichts bewegte sich mehr. 
Luftblasen im Wasser. 
Sie fühlte das Nass, und das Fließen des Wassers. Sie kam wieder hoch, schöpfte Luft und war wieder sie selbst.
Die Ameisen ersoffen oder erstickten langsam im Wasser. Die großen, geflügelten schmeckten nach Zitrone. Aus den Ameiseneiern und einigen der braunen Arbeiterinnen formte Jea kleine Klumpen, die sie sich schmatzend auf der Zunge zergehen ließ. 
Kurz danach begann das Trommeln. 
Der schnelle Rhythmus hallte über die Bucht, den Strand und in den Wald bis weit ins Tal hinein. Der Klang der Trommeln war  urtümlich und archaisch. 
Unten am Strand kauerten drei Frauen mittleren Alters auf einer zerschlissenen Strohmatte. Ihre schlanken, sehnigen Körper waren nur spärlich von bunten Tüchern verhüllt. Mit unzähligen Ketten und Armreifen behängt, hockten oder kauerten sie schweigend im Mondschatten. Mit ernster Miene beobachteten sie die Gruppe der Männer, die rund um ein frisch entfachtes Feuer hockten. Alle trugen die langen, blauschwarzen Haare offen und waren nur mit einem Lendenschurz bekleidet. 
Es war einer der Trommler, der Jea am Rand des Feuerscheins bemerkte. 
Mit einem gekrümmten Stab schlug er einen langsamen, monotonen Takt auf eine der dunklen Trommeln. Der Rhythmus wirkte lauernd und forderte zum Tanz auf.
Ein Stück von einem Rinderfell, das auf einem Stock nahe dem Feuer angebracht war, bewegte sich leicht in der Abendbrise. Wild, glänzend vor Schweiß im Widerschein des Feuers und mit irrem Blick in den Augen näherte sich ein junger, bulliger Mann diesem Fell. Im Sand kriechend, sprang er auf und stieß einen heiseren Schrei aus. Mit animalischen Bewegungen schlich er an das Fell heran. Sobald dieses sich im Wind bewegte oder von dem Mann  mit einer fahrigen Handbewegung berührt wurde, zog er sich win­selnd, wie ein eingeschüchterter Hund aus dem Feuerschein  zu­rück. Die anderen Männer lachten darüber laut grölend. 
Die Trom­mel dröhnte in einem unklaren, rauchigen Ton einen monotonen Rhythmus, .
Da war sie wieder, die Chance auf eine Chance, ungewöhnlich zu han­deln.  Direkt vor Jea.
Sie durchbrach den Bann, trat aus dem hohen Gras heraus in den Feuerschein. Nur der Trommler nickte ihr mit unbewegter Miene zu. Die Anderen nahmen keinerlei Notiz von ihr.. Unter dem har­ten, dunklen Blick des Trommlers setzte sie sich in den Sand, nahm Platz zwischen den Männern. 
Th-amm. Th-amm. Th-amm. Kaum merkbar wurde der Takt schneller. Eine der Frauen brachte eine Flasche mit unbekanntem Inhalt. Der Geruch war widerlich. Dennoch nahm Jea einen kräftigen Schluck, als man ihr die Flasche anbot.
Es war der Trommler selbst, der darauf reagierte und den Takt noch ein wenig anhob, den Rhythmus steigerte. Mit gekreuzten Armen schlug der Trommler auf zwei mittelgroße Trommeln ein. 
Der Mann links von Jea stand langsam auf und löste seinen Len­denschurz, dann stampfte er auf. Ähnlich einem Sumo-Ringer vor einem Kampf, um den Platz von bösen Geistern zu reinigen. Der Mann, der zuvor gegen das Fell „kämpfte“, näherte sich wieder dem Feuer. Die Arme erhoben, die Finger gespreizt und weit nach oben gebogen, mit den Händen elegante, geschmeidige Figuren be­schreibend. Beide Tänzer begannen nahe dem Feuer einen seltsa­men Tanz. Sie stießen mit dem Unterleib immer wieder in Richtung der Flammen, so als wollten sie mit dem Feuer kopulieren. Eine gebückte Haltung einnehmend, drehten sie sich mit weit auseinan­der gebreiteten Armen um sich selbst und um das Feuer, balzenden Hähnen gleich.
Der Chemiecocktail mit Reisschnapsgeschmack übte bald eine seltsame Wirkung auf Jea aus. Sie würgte noch zwei weitere Schlucke hinunter. Die Tänzer, schweißglänzend im Feuerschein,  tanzten und stampften in einem Takt, der es ihr unmöglich machte, hocken zu bleiben. Die Trommeln dröhnten tief, laut und schnell. Gesichter, Bewegung, Trommelklang, alles war in Rot getaucht. Rot war der Klang, marsrot die Wirklichkeit, feuerrot der Wider­schein auf nackter Haut. Aggressives Rot im Blut.
Eine von ihr noch nie erlebte Andersartigkeit überkam sie. Es war kein Rausch, eher das Ausdehnen all ihrer Sinne in eine weite Ferne. Der treibende, zwingende Takt der Trommeln stürmte auf Jea ein und hielt einen Teil von ihr am Boden fest, während sich gleichzeitig in der Weite verlor. 
Sie nahm ein unbe­stimmtes Gefühl auf, kniete mit einem Bein im Sand, wippte mit dem Fuß zum Takt und ließ ihre Unterarme vor der Brust  kreisen. Jea erhob sich und wurde selbst zum Tanz. Die Bewegungen, die sie aus­führte, drängten die Wirklichkeit weg. Sie wurde von einem Nichts ersetzt. Sie vermeinte zu schweben, sobald sie sich im Tanz dem Feuer näherte.
Draußen, weit außerhalb des Lichtkreises, weit weg vom Feuer und der Trommel war blaue, mondhelle Kühle, weiche Stille, eine sanfte Dunkelheit und ruhige Weiblichkeit. Die Nacht außerhalb des Feu­erscheins war von verschiedenen Geräuschen erfüllt. Vom Wald drangen die Stimmen der winzigen Baumfröschchen, die wie  Tempelglöckchen klangen. Und das leise Wispern des Windes in den Baumkronen war zu hören.
Die Morgendämmerung im Osten tauchte die Landschaft in ein Graublau, ein kühlender Lufthauch wehte vom See heran. 
Das erste, fahle Licht der Sonne, das Meer, der Wind, der Strand und die verkohlten Holzreste des Feuers - alles vertraute, bekannte Dinge. Dennoch schienen sie ihr diesmal fremd.
Die Frau stand einfach vor ihr. Sie bewegte ihre Arme im Takt der Trommel, während sie ihre Hüften langsam kreisen ließ. Ihre Bewegungen waren von einer Sinnlichkeit, die Jea so nicht kannte. Ihr Gesicht wurde teilweise von ihren blau­schwarzen Haaren verdeckt, die sie mit einer lasziven Kopfbewe­gung zurückwarf. In ihrem Gesicht verbarg sich ein starker Wille hinter weichen Zügen. In ihren Augen flackerte der Widerschein des Feuers und der aufgehenden Sonne. Sie glich einem stolzen Sommersonnenaufgang. Sie öffnete leicht ihre  Lippen, hauchte in Jea´s Ohr und lächelte.



Tief im Inneren des Tales, weit hinter dem Strand, dort wo der eigentliche üppig wuchernde Regenwald begann, lag ein kleiner Weiher, eingebettet zwischen bemoosten Basaltfelsen. Ein kleiner, schimmernder Wasserfall speiste ihn und sprühte Myriaden von glitzernden Diamanten aus winzigen Wassertröpfchen auf die an­mutigen Farnwedel. Ein altehrwürdiger Baumriese streckte einen Teil seiner gotisch verschlungenen Wurzeln in diesen kleinen Wei­her, bildete damit Durchgänge und Höhlen im glasklaren Wasser, umarmte mit seinen Wurzeln die Steine wie sich Liebende  umar­men. Strahlendes Grün flirrte auf der Wasseroberfläche, erzeugt vom Licht der Sonne. Die herzförmigen Blätter des Baumriesen und die des umliegenden Waldes ließen genügend Licht durch­scheinen, um die Heiterkeit des plätschernden Wasserfalls noch zu unterstreichen. Der Weiher, dessen Grund aus glitzernd hellem Schiefersand bestand, ruhte in einer Wildnis, die unberührt vom Geist des Menschen im absoluten Einklang mit den Gesetzen der Schöpfung stand.
Kleine silbrig schimmernde Fische von der Größe eines Dau­mennagels lebten unter dem labyrinthischen Wurzelwerk. Sobald Jea ihre Hand ins Wasser tauchte, knabberten sie mit kaum  merkbaren Berührungen daran. Wie eine grüne Kathedrale  aus Blättern erhob sich der große Baum über dem Teich. Das Rauschen und Plätschern des Wasserfalls hallte in einem Echo wider, nur unter­brochen vom Stakkato eines Vogels und den rhythmischen Rufen der Affen. In diesem Weiher, unter diesem Dom, vereinigte sich Jea mit der Frau. Sie spürte die körperliche Leidenschaft in der Fremden, die so heilig ist, wie das Leben selbst. 







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